überrascht mich! – spuren einer museumsreise
Das Künstlerbuch ‚überrascht mich! – spuren einer museumsreise‘ ist ein eigensinniges Buchobjekt voller Gedanken zu einzelnen Kunstwerken, zur Kunst als größeres Ganzes und zu der Kunst, Kunst zu vermitteln. Es erzählt von flüchtigen und intensiven Begegnungen und deren Wiederhall in mir, von Wahrnehmungen und Reflexionen in Museen und auf der Parkbank und es spiegelt den Zauber einer Reise wieder, deren Rhythmus aus Verdichtungen und Atempausen auch die innere Form des Buches bestimmt. Getragen von meinem Credo: wer die Kleinigkeiten missachtet, übersieht einen Großteil der Welt, verweben sich seine rund 40 Texte und 200 Bilder miteinander, sodass sie nicht nur chronologisch zu lesen sind, sondern sich dem aufmerksamen Blick im allmählichen Hinundher immer weiter aufblättern und Schicht für Schicht neue Verbindungen freigeben.
Hervorgegangen ist ‚überrascht mich!‘ aus dem Material einer dreiwöchigen Reise an verschiedenste Kunststätten quer durch die Republik, auf der ich – nach all den Jahren, die sich für mich vor allem um die Möglichkeiten gedreht haben, meine Begegnungen mit der Kunst in Annäherungen für andere zu ‚übersetzen‘ – bewusst meine eigene Wahrnehmung in den Mittelpunkt gestellt habe. Entsprechend habe ich mir gegönnt, mit meinem Material zugleich spielerisch und ernst, nachdenklich und sinnenfreudig umzugehen, das Aktuelle neben Erinnerungen zu stellen, das Banale neben das Sublime oder anders gesagt: den Teller Spaghetti neben die Kunst. In seiner Entstehung ein Abenteuer, stellt das Buch im Rückblick das Scharnier dar zwischen meiner Arbeit about ART und dem Schreiben von Texten, die in ihrem Erzählen für sich selbst stehen.
“Fang NICHT mit der Frage nach der Bedeutung an.
Will heissen: Wenn du diese Frage auf einen Blick beantworten kannst, stehst du vor einem Stoppschild. Einen Roman musst du auch erst lesen, bevor du dich fragen kannst, was der Autor sagen wollte.“
aus: Ein Versuch über die Sache mit der Wanne
“Vor mir gleitet betongebändigtes Wasser vorbei. Ab und an ein Boot. Majestätisch treiben die Gänse. Das Vergehen von Zeit ist ablesbar in der langsamen Veränderung des Wassers vom Sonnenspiegel, der glitzernd und funkelnd das Auge blendet, zu flaschiggrün milchiger Fläche, die den Blick ansaugt und wiegt – goldgelb blitzend nur da, wo Enten sie pflügen. Sonnenuhr ohne Zeiger.“
aus: Parkbänke
“Denke ich mich also hinein in das Bild vor mir, bis ich die Kühle der Kellerwände auf meiner Gänsehaut spüren kann, merke ich, dass dies meine Sehnsucht nicht stillt. Ich möchte gar nicht hinein in die Stilleben, möchte keinen Zugang zu den Vorratskammern, keinen Stuhl angeboten bekommen an jenen Tischen und seien sie noch so üppig gedeckt. Das eigentlich Faszinierende des Bildes würde schlagartig verschwinden, hätte ich doch schlicht Gegenstände um mich. Museal zwar, aber doch nur Gegenstände – sonst nichts.“
aus: Alte Stilleben
“Und ist es überhaupt noch wichtig, zu unterscheiden, ob ich mit dem Vogel fühle oder mit mir selbst? Oder mit uns allen, die wir alltäglich die Erfahrung machen, von etwas angelockt zu werden, was uns begehrenswert genug erscheint, um die Konsequenzen auszublenden, die das Erlangen des Verlangten für uns haben werden. Ist es noch wichtig, ob Schmerz und Enge und Angst von ein paar Blechbüchsen herrühren, von einer Lebenssituation oder von der Erkenntnis, dass wir schlussendlich alle in einer Falle unserem Tod gegenüber sitzen und nicht auskommen werden?“
aus: Vorsicht Falle
“Mir gegenüber lockt die Auslage der Bahnhofsbäckerei goldbraun, üppigbelegt und vergeblich. Bestens brötchenversorgt und kaffeegetränkt sind die Pendler bereits im Büro, die Mittagszeit ist noch zwei Stunden hin und die Brote duften ins Leere. Trotzdem sind die beiden Bäckereiwarenverkäufer vollauf in Bewegung. Die Kundenflaute nutzen sie nämlich für ein kleines Boxtraining hinter der Theke, die mir Bühne wird für eine Art Schattentheater bei vollem Licht.“
aus: Boxtraining in der Bonner Bahnhofsbäckerei
“Ich werde wohl niemals müde, in diesem ‚Beuysroman‘ zu lesen und mich an ihm exemplarisch darüber zu wundern, wie die Buchstaben B E E I L etwas so komplexes ausdrücken können wie ‚Liebe‘.“
aus: Schon wieder und immer noch Beuys
“Manchmal verbinden sich in mir Kunstwerke miteinander, deren Kontexte so verschieden sind, dass meine innere Kunsthistorikerin empört aufheult und jedes weitere Nachdenken über eine mögliche Verknüpfung strikt ablehnt. Allerdings gebe ich ihr darin nicht nach, zum einen, weil das unhistorische Verbinden höchst vergnüglich sein kann, zum anderen, weil mir damit das Verständnis häufig über die unzusammengedachten Einzelwerke hinauswächst.“
aus: Verwebungen II
“Nach einem kurzen Moment der Verwirrung, habe ich Verständnis für die Vereinfachung, die ein toter Fisch fürs Zeichnen bedeutet. Tote Fische halten still. Bei der ungeheuren Menge gezeichneter Fischleiber ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Dem flüchtigeren Blick entgeht wahrscheinlich ohnehin, dass hier nur die halbe Wahrheit gezeigt wird, weil nur kleine Details die toten Leiber von lebenden Fischen unterscheiden. Auch mir ist es erst nach einer Weile aufgefallen. Im Schwarm lenkt die Fülle von den toten Einzelheiten des Körpers ab. Ebensowenig bemerkt sie, wer in der Betrachtung einzelner Schuppen versinkt. Geschickt verborgen liegt die Erkenntnis irgendwo zwischen Nähe und Ferne.“
aus: Ein Fisch Schwarm
“Es gibt so viele Arten, einem Menschen das Gesicht zu nehmen. So viele Arten der Demütigung. Eigentlich ist es auch nur ein gradueller Unterschied, ob das mit einer Tüte über dem Kopf geschieht oder durch unsere allzu unbeweglichen Vorstellungen. Wahrscheinlich sind die Vorstellungen sogar die Voraussetzung für die Tüten. Immer wieder denke ich, wer wirklich begreift, dass vor ihm ein Mensch steht – ein Mensch ganz so, wie er selbst ein Mensch ist – der kann ihm absichtlich kein Leid antun, kann ihn weder bewusst verletzen noch töten.“
aus: Tütengesichter
“Meine Aufgabe war es, Menschen mit Worten an Kunst heranzuführen. Dabei bin ich überzeugt, man kommt weiter, genauer gesagt: der Kunst näher, wenn man vor ihr schweigt, sie – statt über sie zu reden – in sich klingen lässt. Wenn man zulässt, dass sie sich in einem fortsetzt, vergleichbar mit Ringen im Wasser, wenn ein Stein oder Fischkopf durch seine Oberfläche stösst. Ungeheuer gross ist nämlich die Gefahr, dass die Kunst hinter genau jenen Worten verschwindet, die man bemüht, um zu ihr zu führen.“
aus: Nachdenken über Kunst
Fakten
alle Texte und Bilder aus: ‚überrascht mich! – spuren einer museumsreise‘
© Marion Oelmann, 2016
Die Edition ist limitiert. Die 48 nummerierten Exemplare sind liebevoll handgebunden und ein jedes ist mit handgearbeiteten Überraschungen für die (aufmerksamen) Fingerspitzen versehen, gestempelt und signiert. Exemplarpreis 166.- Euro (kein Versand)
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